Friedrich-List-Gymnasium Reutlingen

Miteinander.  Zukunft.  Bilden.

Flecken, Flaschen, Fantasie - Von Dresden nach Atlantis

Sehenswertes Schultheater im "Wohnzimmer" des FLG

„Anselmus? Wer heißt denn schon so?“ Mit dieser Eingangsfrage sah sich das Publikum konfrontiert, das am Donnerstag und Freitagabend den Weg in den Tonnekeller fand, um die Schülerproduktion „Flecken, Flaschen, Fantasie – von Dresden nach Atlantis“ anzuschauen.

Ist er nun wahnsinnig, dieser Anselmus, melancholisch oder nur sehr sensibel, ein Künstler womöglich? Oder doch nur ein junger Mann, der den schönen Mädchen hinterher träumt. Darüber sinnieren eingangs ein Psychoanalytiker (Amos Bär), der Erzähler im Werk (Anne Freise) und der eigentliche Autor E.T. A Hoffmann (Semjon Bär) nach und liefern damit von Anfang an die verschiedenen Text- und Interpretationsebenen des zugrunde liegenden romantischen Textes „Der Goldne Topf“ – ein Märchen aus der neuen Zeit.

Wer ist dieser Tollpatsch, der immer nur Flecken produziert? Und wie kann man sich in eine Schlange verlieben? Was soll das Abschreiben arabischer Dokumente bringen? Mit solidem Grundwissen aus dem Deutschunterricht ausgestattet, da dieses Werk zu den Schwerpunktthemen des Abiturs gehört, machte sich der Literatur- und Theaterkurs des Friedrich-List-Gymnasiums auf, um diesem Werk der Romantik etwas für die Gegenwart, für unser heutiges Leben abzugewinnen. Ausgestattet mit großer Spielfreude und erstaunlichem, kreativen Potential entwickelten die Schüler zusammen mit ihrer Lehrerin Susanne Mayer einzelne Szenen, die sich teilweise sprachlich recht eng an das Original hielten, sich teilweise aber auch sehr vom Original entfernten. Ein Werbefilm von Dr.Dr. Fleckweg (Jan Wagner) ist bei E.T.A. Hoffmann beim besten Willen nicht zu finden.

Zu sehen war somit ein Psychogramm oder vielmehr eher die innere Reise eines jungen Mannes, höchst differenziert mit vielerlei Schattierungen von anrührend verzweifelt bis zu ekstatisch ausgeflippt von Richard Kipp gespielt, der sich zwischen bürgerlichem Leben mit Veronika (Annika Keppeler) und dem Leben in Atlantis, einer paradiesischen Phantasiewelt, verkörpert durch Serpentina (Luise Godzik) entscheiden muss.

Auf diesem Weg begegnet er einem furchterregenden Äpfelweib, von Melike Sabry mit schon fast professioneller Schauspielkunst dargestellt und dem phantastisch angehauchten Archivarius Lindhorst, sehr überzeugend verkörpert von Hannes Nedele, der als zukünftiger Schwiegervater und Kenner von Atlantis eine entscheidende Rolle für Anselmus spielt.

Innigkeit, Witz, Verzweiflung und Slapstick-Einlagen wechselten sich rasant ab. Den Begegnungen mit den phantastischen Wesen, den Schlangen (Dilara Tülek und Luise Godzik), dem grauen Papagei (Isaias Tsarnos) und der als Runkelrübe endendem  Äpfelweib folgten Szenen aus der bürgerlichen Welt. Doch auch die Schwestern Paulmann (wunderbar aufmüpfig Giulia Röhm als Veronikas Schwester Fränzchen), ihr Vater, der  Konrektor  Paulmann (Julius Rall) und der zukünftige Hofrat und Registrator Heerbrand (Stephanie Martin) - eigentlich der bürgerlichen Sphäre zuzuordnen -  zeigen eine gewisse Neigung zu Tollheit und Wahnsinn und schrecken nach einem höchst amüsanten Punschgelage auch nicht vor exaltierten Tanzeinlagen zurück.

Die eine dichte Atmosphäre schaffende Musik (Musikauswahl Richard Kipp) und die Lichtregie (Aurel Walker, Techniker der Tonne) trugen zudem Wesentliches zur Wirkung des Stückes bei. „I remember when I lost my mind there was something so pleasant about that place“ – der Song „Crazy“ birgt schon am Anfang das Ende in Atlantis sich: „Ist denn überhaupt des Anselmus Seligkeit etwas anderes als das Leben in der Poesie“ – so utopisch endet das Stück – und damit auch die Reise von Dresden nach Atlantis.

Nur noch wenige Wochen vor den schriftlichen Abiturprüfungen zeigte der Literatur- und Theaterkurs  der Jahrgangsstufe 2 eine ganz eigene, sehr dichte und höchst unterhaltsame  Interpretation dieses romantischen Textes, die Lust macht, sich neu damit auseinanderzusetzen. Das schon von Anfang an „sehr geneigte Publikum“ war begeistert.


Andreas Schumacher  |  Stand: 23.01.2020