Friedrich-List-Gymnasium Reutlingen

Miteinander.  Zukunft.  Bilden.

Wenn man aufhört zu warten, ist es zu Ende

An den Abenden des 19. und 20. Mais führte das - übrigens rein weibliche - Ensemble des Literatur -und - Theater Kurses (J2) des Friedrich-List-Gymnasiums seine eigene Inszenierung “Waiting for…”, basierend auf dem Theaterstück “Warten auf Godot” in der Reutlinger Tonne auf.

“Warten auf Godot” von Samuel Beckett ist ein typisches Stück des absurden Theaters, welches 1952 publiziert wurde. Die Spielleiterin, Susanne Mayer erklärte im kurzen Interview nach der Aufführung, die Schülerinnen hätten sich freiwillig für das Stück entschieden. Im Stück “Warten auf Godot” geht es, grob zusammengefasst, um die Themen Sinn(losigkeit) des Lebens, die Natur der Zeit und natürlich, damit verbunden, ums Warten. Diese Themen machte sich der Kurs zu eigen, eine Vielzahl der Dialoge, Szenen und eine ganze Storyline wurden vom Kurs und ihrer Spielleiterin selbst entworfen, geschrieben und die Auszüge aus “Warten auf Godot” wurden geschickt mit den Eigenkompositionen verflochten und dazwischen eingebettet.

Schon der Start ins Stück war herrlich originell. Vier Mitglieder des Ensembles begannen mit einer Art Choreografie auf Stühlen, bei der sie zu Beginn nur durch ihren Körper und den Gesichtsausdruck das Thema Warten darstellen. Anschließend erzählten sie, worauf sie denn so warteten. Das Ende der Schulzeit, das Rauskommen aus Reutlingen, oder ganz banal, die nächste Folge der Lieblingsserie. Warten wurde hier zum brandaktuellen Thema, auch für die jungen Schülerinnen.

Die bereits erwähnte, eigene Storyline des Kurses, meinte Spielleiterin Susanne Mayer, enstand aus der Überlegung, auf was wir denn heute, in unserer schnelllebigen, modernen Zeit warten. Schließlich ergab sich daraus ein Paar, es lernt sich beim Warten kennen und hört scheinbar gar nicht mehr mit dem Warten auf. Warten auf eine neue Wohnung, warten auf eine Beförderung, warten auf ein Kind. Und das Kind lässt auf sich warten, aus einem freudig-ungeduldigen Warten wird ein zuletzt hoffnungslos-verzweifeltes Warten. Auch hierdurch wird die Aktualität des Themas betont.

Das gesamte Ensemble spielte ganz ausgezeichnet und voller Leidenschaft und man konnte glatt vergessen, dass es sich um Schülerinnen einer 12ten Klasse handelte. Eine Inszenierung stach noch einmal besonders hervor, Jula Kellers Darbietung des Godots. Wann immer Godot (Jula Keller) die Bühne betrat, spielte lauernde, geheimnisvolle Musik. Trotz dem wenigen Sprechtext Godots, fesselte Jula durch Mimik, Gestik und ihre höchst überzeugende Performance das gesamte Publikum. Gänsehaut.

Godot ist wohl auch das größte Mysterium des Stücks selbst. ACHTUNG SPOILER ALARM: Obwohl zwar das ganze Stück über auf Godot gewartet wird, taucht dieser, zumindest im Stück “Warten auf Godot”, nie auf. Der Autor Samuel Beckett enthüllte sein Leben lang nie, um wen es sich bei Godot eigentlich handelt und wie sein Stück zu deuten sei. Die Spielleiterin Susanne Mayer offenbarte im Interview, in der Inszenierung des Kurses sei Godot vielleicht durchaus eine Art Gott, wie es eine mögliche Deutungsweise des klassischen Stückes nahelegt. Von Erlöser bis Peiniger sei jedoch alles denkbar. Somit eher eine Art “Strippenzieher” im Hintergrund, der über Freud und Leid entscheidet und sich letztlich nicht in die Karten schauen lässt.

Eine durch und durch gelungene Inszenierung, welche aktuell, humorvoll und überzeugend umgesetzt wurde und keinesfalls Schulprojektcharakter hatte. Der Abend im Theater war es mehr als Wert.

Chapeau an die grandiosen Schauspielerinnen Lilli Hermann, Nicole Hotzel, Alina Kautz, Jula Keller, Maria-Isabel Schneck, Nina Ulitzsch, Lisa Ulmer und Isabel Zeiler, wie auch an die Spielleiterin Susanne Mayer für diese fulminante, sehr sehenswerte Leistung.

Danke auch an Ena Stojanovic für den Text und Emma Smoljakow für das Foto!


Andreas Schumacher  |  Stand: 25.05.2022